Kritik an Aufrüstung als Mittel der Friedenspolitik
Die Christen und die christlichen Kirchen sind aufgerufen, sich noch viel entschiedener und konkreter für Frieden einzusetzen. Das unterstrich der Generalsekretär der internationalen katholischen Bewegung Sant'Egidio, Cesare Zucconi, bei der Sommerakademie der Katholischen Männerbewegung Österreichs (KMBÖ) in St. Pölten, die heuer dem Thema Friede und Versöhnung gewidmet ist. Zucconi wies darauf hin, dass derzeit weltweit mehr als 60 offene kriegerische Auseinandersetzungen im Gange sind, von denen von den Menschen in Westeuropa nur einige wenige überhaupt wahrgenommen werden. Gründe dafür seien zum einen wachsende Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Mitmenschen, zum anderen zunehmende Verängstigung und ein Gefühl der Ohnmacht.
Über viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg hätten für Westeuropäer Kriege „weit weg“ stattgefunden, ihre Folgen hätten sie nicht erreicht, so Zucconi. Mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges von Russland gegen die Ukraine und der Aufkündigung von Verträgen über die Nichtverbreitung von Atomwaffen sei die Bedrohung wieder näher gerückt. „Heute befinden wir uns in einer Situation starker internationaler Spannungen, in einer chaotischen, multipolaren, konfliktreichen und verwirrenden Welt. In dieser Welt nehmen autoritäre Staaten zu, die Gewalt anwenden und Desinformationen verbreiten, korrupte Staaten, die für Macht und Geld das Blut ihrer Bürger vergießen. Der Weltfrieden ist stark gefährdet“, warnte Zucconi. „Es braucht nicht viel: ein Unfall, und es kann zu einer Katastrophe von globalem Ausmaß kommen.“
Gleichzeitig sei in den vergangenen Jahren „der Krieg als Mittel zur Konfliktlösung rehabilitiert worden“, kritisierte der Generalsekretär von Sant’Egidio. Auf- und Wettrüsten werde als Mittel der Friedenspolitik wieder akzeptiert. „Was ist aus der Diplomatie, dem Dialog geworden? Wir dürfen uns nicht von der Logik des Krieges und des Sieges verführen lassen; vor allem, weil in einem Krieg alle Verlierer sind“, unterstrich Zucconi. Die Geschichte lehre: „Der Krieg hat die Welt immer schlechter hinterlassen, als er sie vorgefunden hat. Krieg sät Hass und Armut, und er ist die Brutstätte weiterer Kriege.“ In nicht unmittelbar betroffenen Ländern verstärkten Kriege „eine Kultur der Abschottung und der Feindbilder und nähren populistische und antidemokratische politische Bewegungen“. Wer sich für einen Frieden ohne Waffen einsetzt, werde rasch als „naiv“ verunglimpft, stellte Zucconi fest. Mindestens so naiv sei es aber, an einen Frieden durch Waffen zu glauben.
Jede/r kann zum Frieden beitragen
Zucconi rief dazu auf, angesichts der aktuellen Weltlage sich dennoch nicht von Pessimismus und Gefühlen der Ohnmacht leiten zu lassen. Jede und jeder einzelne könne etwas zum Frieden beitragen, das sei eine zentrale Botschaft des christlichen Glaubens. Er zitierte dazu Worte von Johannes Paul II. beim historischen Friedenstreffen der Weltreligionen 1986 in Assisi: „Der Friede ist eine Werkstatt, die allen offensteht, nicht nur Fachleuten, Gebildeten und Strategen. Der Friede ist eine universale Verantwortung: Er verwirklicht sich durch tausende kleiner Handlungen im täglichen Leben. Durch die Art ihres täglichen Zusammenlebens mit anderen entscheiden sich die Menschen für oder gegen den Frieden.“
Die 1968 in Rom von Studenten gegründete Gemeinschaft Sant’Egidio setzt sich seit ihrer Gründung in diesem Sinn für Arme und Benachteiligte – unter ihnen unter ihnen alte Menschen, Obdachlose, Migranten, Menschen mit Behinderung, Gefangene und Straßenkinder – sowie für Dialog, Zusammenarbeit und Frieden ein. Heute sind ihre Gemeinschaften in mehr als 70 Ländern der Welt präsent, in vielen Konfliktgebieten. Zur Gemeinschaft gehören Männer und Frauen jeden Alters und aller Schichten. Sie hat zu Friedensschlüssen in mehreren, oft aussichtslos erscheinenden Konflikten beigetragen, etwa 1992 in Mosambik.
Weder Krieg noch Frieden „gerecht“
Wie Zucconi bei der KMBÖ-Sommerakademie betonte, gebe es keinen „gerechten“ Krieg, jeder Krieg „ist schmutzig, ungerecht, mörderisch“. Genauso wenig gebe es aber einen „gerechten“ Frieden: „Frieden ist immer nur durch einen Kompromiss erreichbar, der alle Seiten unzufrieden macht und anfänglich oft schmerzhaft ist, aber zumindest das Blutvergießen beendet.“ Auch Sant’Egidio werde manchmal dafür kritisiert, dass sie „mit dem Feind redet, der Blut an den Händen hat“. Zucconi dazu: „Wenn man den Frieden nicht mit dem Feind sucht, mit wem denn sonst?“
Menschlichere Welt erfordert Handeln
Zucconi appellierte an die Christen, über Frieden nicht nur zu debattieren oder von einer friedlichen und menschlichen Welt nicht nur zu träumen, sondern sich ganz konkret dafür einzusetzen. Als ein Beispiel nannte er den Einsatz von Sant’Egidio für humanitäre Korridore, die es bis heute rund zehntausend Menschen auf der Flucht vor Krieg und Elend ermöglicht haben, legal und sicher nach Italien, Frankreich und Belgien zu gelangen. Da diese Menschen von Familien von Familien, Pfarren und Vereinen aufgenommen, verlaufe ihre Integration schneller und effektiver.
Abschließend hob Zucconi ein zentrales Element im Leben der Gemeinschaft von Sant’Egidio hervor: das Gebet um Frieden. In der Kirche Santa Maria in Trastevere in Rom findet dieses Gebet täglich um 20 Uhr statt. Man kann sich daran auch über das Internet beteiligen (www.santegidio.org).
Zu einem Ökumenischen Friedensgebet versammelten sich auch die Teilnehmer der KMBÖ-Sommerakademie in einem zentral gelegenen Park in St. Pölten, gestaltet vom Geistlichen Assistenten der KMBÖ, Pfarrer Andreas Jakober, und dem evangelischen Senior von Niederösterreich, Pfarrer Rainer Gottas.
„Den Menschen geben, was sie zum Leben brauchen“
Friede braucht die Deckung von Grundbedürfnissen wie Nahrung und Zugehörigkeit sowie Bildung, unterstrich Prämonstratenser-Pater Milos Ambros bei einem Podiumsgespräch im Rahmen der KMBÖ-Sommerakademie. Er verwies dabei auf den Jakobus-Brief im Neuen Testament, wo es heißt: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen - was nützt das?“ (Jak 2,15-16).
Ambros wirkte von 1994 bis 2009 in Brasilien, in einem Armenviertel in der 4-Millionen-Stadt Salvador da Bahia. In die Favelas, wo die Kriminalität besonders hoch war, „traute sich die Polizei nicht hinein“, berichtete Ambros. Als – unbewaffnete - Priester hätten sie dort jedoch gut arbeiten können. Unterstützt von Spenden aus der Heimat schuf Ambros – zusammen mit seinem Ordensbruder Bernhard Schelpe - die Infrastruktur für etwa 30 "comunidades", was etwa 30 österreichischen Pfarren entspricht. Soziale Hilfe leisteten sie u.a. mit einem "Lebensmittelgrundkorb", mit dem die ärmsten Familien monatlich die notwendigsten Grundnahrungsmittel erhielten. Im Gegenzug kamen die Familien einmal im Monat zu Vorträgen etwa über Hygiene, Essenszubereitung oder auch Glaubensinhalte.
Neben Alphabetisierungskursen für Erwachsene entstand auch eine Kindergarteneinrichtung für alleinerziehende Mütter, um diesen Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Den tristen Verhältnissen und einer „allgemeinen Unordnung“ entgegenzuwirken, Gemeinden zu bilden, in den man füreinander da ist, „können erste kleine Steine für den Aufbau des Friedens sein“, unterstrich der Prämonstratenser-Pater. 2021 wurde P. Ambros für sein Wirken mit dem Oscar-Romero-Preis der Aktion „Sei so frei“ der KMBÖ ausgezeichnet.
Schmolly: Empathie ist eine politische Kategorie
Der Vorarlberger Caritas-Direktor Walter Schmolly betonte, Friede brauche Empathie, die Fähigkeit, sich von der Not, vom Leid anderer berühren zu lassen. Empathie sei dabei nicht nur eine persönliche, sondern auch eine politische Kategorie. Als Beispiel verwies er auf eine Replik des jetzigen Papstes Leo XIV. noch als Kurienkardinal auf eine Aussage des US-Vizepräsidenten James David Vance. Der Katholik Vance hatte behauptet, als Christ liebe man „zuerst seine Familie, dann seine Nächsten, dann seine Gemeinschaft, dann seine Mitbürger – und dann erst den Rest der Welt.“ Prevost antwortete auf „X“: „JD Vance irrt sich: Jesus fordert uns nicht dazu auf, unsere Liebe zu anderen zu gewichten.“
Es brauche – so Schmolly – eine Empathie-Kultur, im Kleinen wie im Politischen, die notwendige Hilfe ohne Ansehen von Person, Religion, Nation oder Schuld leistet. Für den Frieden sei es zudem nötig, die Verantwortung für die Schöpfung wahrzunehmen. Die UNO habe 2015 die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) verabschiedet. Darin gehe es nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch um die Vision einer „friedlichen und inklusiven Gesellschaft“, hob der Caritas-Direktor hervor.
Keine biblische Rechtfertigung von Vernichtung
Der Innsbrucker Theologe Klaus Heidegger übte Kritik an der Rechtfertigung von Gewalt durch Rückgriff auf Verse aus dem Alten Testament. Das Attentat des militärischen Armes der Hamas gegen Israel sei ein schreckliches Vergehen. Wenn Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und US-Präsident Donald Trump das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen aber mit Bibelversen rechtfertigten, die die Vernichtung des gegnerischen Volkes insinuieren, sei das zu hinterfragen. Es gelte, Wege zu finden und zuzulassen, die die „Logik des Schlachtfeldes“ überwinden, so Heidegger, bis vor kurzem Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck. Er schloss sich dabei der Kritik von Cesare Zucconi an der Rede vom „gerechten“ Frieden an: Friede sei zunächst ein Kompromiss, der für alle Beteiligten schmerzlich sein kann, aber das Blutvergießen beendet.
„Eine Politik, die Hände reicht“
Die Moderatorin des Gesprächs, Birgit Prochazka, Leiterin des Forum Katholische Erwachsenenbildung der Diözese Eisenstadt und zuständig für Weltanschauungsfragen, stellte fest, in Vorträgen und Debatten über Frieden das Wort Krieg und Konflikt meist viel öfter vorkomme als das Wort Friede. Sie zitierte abschließend der Wiener Psychiater Viktor E. Frankl, der als Jude von den Nazis ins KZ Theresienstadt verschleppt wurde und überlebte. 1946 schrieb er unter dem Titel „Friede unter uns“: „Wir brauchen Verständnis füreinander und wir brauchen Verständigung miteinander. Wen darf es da wundern, wenn wir erklären: Für uns kann es nur eine Politik geben, und das ist jene Politik, die Hände reicht.“
(jp/19.7.2025)